Oberbürgermeister Labonte nimmt Stellung
Lahnstein. Mit großer Sorge hat die Stadtverwaltung auf das jetzt erst bekannt gewordene volle Ausmaß und die mehr als dramatische Dimension des Bahnunfalls reagiert.
Eine am Abend des 3. November 2020 von der DB Netz AG übermittelte, über 400 Seiten umfassende Dokumentation der Erstmaßnahmen nach dem Bahnunfall weicht erheblich von den wesentlichen Grundlagen vom Sanierungskonzept der DB Netz AG vom 28. September 2020 ab.
So sind nicht 100.000 Liter Dieselöl, sondern insgesamt 180.000 Liter ausgelaufen und ins Erdreich gelangt. Davon sollen 40 bis 50 % noch immer im Boden sein!
Oberbürgermeister Peter Labonte geht nunmehr davon aus, dass sich vermutlich also nicht nur 30.000 bis 50.000 Liter Dieselöl im Erdreich befinden sondern die Rede ist nunmehr sogar von über 90.000 Liter. Aber wohl keiner weiß, wo genau sich der Diesel befindet.
Aufgrund dieser dramatischen Wendung zweifelt Labonte die Sanierungsvorschläge der DB-Netz AG an!
Labonte: „Auch die von der Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises erteilte Sanierungsgenehmigung, die ursprünglich auf einer ganz anderen Ausgangsbasis und unter ganz anderen Rahmenbedingungen erteilt wurde, muss jetzt von den Fachbehörden kritisch hinterfragt werden“.
„Aus meiner Sicht“, so Oberbürgermeister Labonte, „stellen sich jetzt folgende Fragen:
- Ist die Art der Sanierung (Herstellung der Anlagen zur hydraulischen Sicherung nach dem 1 Sanierungskonzept der DB Netz AG) überhaupt bei diesen großen Mengen noch zielführend und ausreichend für die Sicherung einer noch größeren Menge von ausgelaufenem Diesel
- Ist nun der Zeitfaktor der Sanierungsmaßnahmen von etwa 5 bis 7 Jahren überholt?“
Oberbürgermeister Labonte befürchtet hier eine „unendliche Geschichte“ und er ist sehr besorgt und erwartet, dass die Stadt in die anstehenden Entscheidungen stärker als bisher mit einbezogen wird. Dieser Forderung ist die DB Netz und die Kreisverwaltung nunmehr nachgekommen. Die Kreisverwaltung hat zugesagt, die Stadt Lahnstein zukünftig zu den wöchentlichen Telefonkonferenzen mit Bahn und Genehmigungsbehörden beizuziehen.
Auch die DB Netz hat mit Schreiben vom 5. November 2020 auf diese Forderung reagiert und auch eine Teilnahme der Stadtverwaltung Lahnstein an den wöchentlichen Jour-Fixe-Terminen sowie einem Treffen der DB mit eigenen Gutachtern und Fremdgutachtern in Aussicht gestellt.
Mit großer Sorge registriert Oberbürgermeister Labonte aber besonders den dramatischen Hinweis in der Abschlussbemerkung der jetzt vorgelegten Dokumentation, wonach eine sehr große Menge an Dieselöl im Boden verblieben ist und über den Pfad Boden-Grundwasser „Ein hohes bis sehr hohes Gefährdungspotential besteht.“ Hier sind es insbesondere die Bereiche, in denen das Dieselöl in die Terrassensedimente eingedrungen ist und bei steigenden Grundwasserständen oder weiteren Absinken des Diesels mit einem Kontakt des Grundwassers zu rechnen ist.
Labonte: „Wir brauchen Sanierungsverfahren, die funktionieren und keine Gefährdungen im Umfeld bestehen.“
Die Stadt hat mittlerweile auch den hier beauftragten Rechtsanwalt mit eingeschaltet und um rechtliche Beurteilung und Einschätzung gebeten.
Peter Labonte: „Bei erster Durchsicht der Dokumentation kann man zu dem Ergebnis gelangen, dass die DB Netz AG seit dem Unfallergebnis vom 30. August 2020 offenbar nicht immer mit offenen Karten gespielt hat und es ausschließlich das vorrangige Ziel des Unternehmens war, den Bahnbetrieb möglichst schnell wieder aufzunehmen“.
„In diesem Zusammenhang“, so Labonte weiter, „kann man den Eindruck erhalten, dass sowohl die Stadt Lahnstein, als auch die Genehmigungsbehörden bewusst getäuscht werden sollten.“
Dies begründet er wie folgt:
1) Um das Schadensereignis (man ist immerhin knapp an einer riesigen Katastrophe für die Stadt vorbei geschrammt) klein zu reden, vermied man zunächst das Wort „Entgleisung“. In ersten Pressemeldungen wurde bahnseits von einem Feuerwehreinsatz im Bereich des Bahnhofs Niederlahnstein gesprochen, der den Bahnverkehr beeinträchtigt.
2) Zunächst wurde auch davon gesprochen, dass der entgleiste Zug mit Bio-Diesel statt Dieselöl beladen gewesen war und hiervon bis zu 150.000 Liter ausgelaufen seien. Ein der Dokumentation beigefügter Frachtbrief und die Wagenpapiere weisen als Beladung eindeutig „Dieselkraftstoff“ mit dem Zusatz „umweltgefährdend“ aus.
3) Aus dem ausgelaufenen „Bio-Diesel“ wurde kurz nach dem Unglück „Diesel“ und aus den ausgelaufenen 150.000 Liter relativ schnell ca. 100.000 Liter.
4) Tatsächlich haben die Verantwortlichen bereits zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass rd. 180.000 Liter Diesel ausgelaufen sind. Warum wurde dies – trotz mehrfachen Rückfragen – verschwiegen?
5) Im Gutachten heißt es, dass im Rahmen der vorlaufenden Arbeiten die Entscheidung getroffen wurde, die auf dem Areal befindlichen drei Oberleitungsmasten und die Gleise 4 und 8 nicht zurückzubauen. Wer hat diese Entscheidung in Abstimmung mit wem getroffen? Waren die zuständigen Behörden in diesen Entscheidungsprozess involviert?
6) Nach Durchführung der Erstmaßnahmen (und nach der Wiederaufnahme des Fahrbetriebes) wurde kolportiert, dass 10 % bis 30 % des ausgelaufenen Diesels im Erdreich verblieben seien. Dabei wurde zu diesem Zeitpunkt nach wie vor die Sprachregelung verwandt, dass rd. 100.000 Liter Diesel ausgelaufen seien. Auch das der Kreisverwaltung des Rhein-Lahn-Kreises vorgelegte Sanierungskonzept fußt nach meinem Kenntnisstand auf diesen Annahmen.
7) Der vom Rhein-Lahn-Kreis beauftrage Hydrogeologe hatte in einer gemeinsamen Besprechung (6. Oktober ) davon gesprochen, dass nicht wie im Sanierungskonzept beschrieben 20.000 Liter bis 30.000 Liter Diesel (bei 100.000 Liter Dieselöl = 20 bis 30 %) sondern im „Worst Case“ bis zu 50 % des ausgelaufenen Diesels im Erdreich verblieben sind (bedeutete damals 50.000 Liter). Die DB Netz AG hatte hierzu keinerlei Stellungnahmen abgegeben.
8) Die Dokumentation stellt nun dar, dass die im Boden verbliebene Dieselmenge zwischen ca. 70.000 und 90.000 Liter liegt. Demnach wurden im Rahmen der Erstmaßnahme lediglich 50 % bis 60 % aus dem Boden entfernt und die Einschätzung des Hydrogeologen stellt sich im Nachhinein als zutreffend heraus.
Der Lahnsteiner OB fragt sich, ob dies den zuständigen Behörden bewusst war oder wurden diese ebenfalls in die Irre geführt? Und: wäre dem Abschluss der Erstmaßnahmen unter diesen Voraussetzungen überhaupt zugestimmt worden?
Labonte abschließend: „Für mich grenzt die ganze Geschichte an einen Skandal und unter Umständen auch ein Fall für die Staatsanwaltschaft.“